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Mein Jakobsweg - Gefunden, was ich gar nicht suchte

  • Autorenbild: Daniel
    Daniel
  • 25. Sept. 2020
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 18. Dez. 2022

Einmal in meinem Leben möchte ich einen Jakobsweg laufen. Seit Jahren beschäftigt mich dieses Vorhaben. Ob ich die Reise aus religiösen Gründen führen oder einfach nur wandern und bei mir selbst ankommen möchte, ist dabei nicht von entscheidender Bedeutung. Vermutlich wird es ein Mix aus beidem.


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Als Erstes kümmere ich mich um das Wann, Wohin und Wie lange. So recherchiere ich die kommenden Tage die Temperaturen Frankreichs, Spaniens und Portugals, durchschnittliche Niederschlagsmengen und Sonnenstunden, mache mich auf die Suche nach Flügen und verschaffe mir einen ersten Überblick über mögliche Unterkünfte für die Nacht, denn wildcampen ist in den meisten Ländern mittlerweile verboten. Mir kommt in diesem Stadium der Vorbereitung nicht in den Sinn, dass aufgrund der Pandemie, die zu dieser Zeit besonders Spanien sehr hart trifft, Übernachtungsmöglichkeiten deutlich weniger vorhanden sein werden.



Frankreich, Spanien oder Portugal – Die Qual der Wahl


Für die einen ist der Jakobsweg eine Gruppenwanderung mit Spaß und langen Abenden, für andere wiederum die ruhigste Wanderung ihres Lebens

Neben der klassischen Google-Suche hilft ein anderes wertvolles Goodie bei meiner Recherche. Die Buen Camino App. In dieser sind die meisten Jakobswege aufgelistet. Besonders hilfreich für mich ist, dass ich die Tagesetappen inklusive Kilometerangaben von Ort zu Ort selbst planen kann. Somit bekomme ich wichtige Informationen über Streckenverlauf und Höhenprofil. Das Beste ist jedoch, dass nahezu alle Pilgerunterkünfte und deren Mail-Adressen und Telefonnummern aufgelistet sind. Somit brauche ich im Vorfeld nichts buchen, da ich mir noch nicht sicher bin, ob ich die angepeilten Tagesmärsche auch wirklich packe.


Nach einigen Tagen des Lesens im Netz und in der App bin ich mir sicher, dass ich im September laufen werde, jedoch keine 4 Wochen unterwegs sein möchte und dadurch die langen Wege durch Frankreich wegfallen. Für viele Menschen ist das langsame pilgern der Schlüssel. Ich wiederum brauche in der Regel nicht viel Zeit, um alles um mich herum auszuschalten. Da es sich um meine erste Fernwanderung handelt, kann ich noch nicht einschätzen, was tägliche Entfernungen und der damit verbundene Erschöpfungsgrad angeht. Unterhalte ich mich mit anderen über mein Vorhaben, wird mir mehrfach geraten 20 Kilometer pro Tag nicht zu überschreiten.


Meine Entscheidung wird zwischen dem Camino Portugues, welcher von Porto an der Atlantikküste entlangführt und mit 250 Kilometern einen der kürzesten Jakobswege darstellt, und dem Camino Primitivo fallen. Die Assoziation von Primitivo als primitiv im Sinne von ‚einfach‘ lässt mich zunächst auf dem gedanklichen Holzweg wandern. Als ich herausfinde, dass Primitivo für ‚ursprünglich‘ steht und der Weg mit seinen nicht mal 300 Kilometern zwar einer der kürzeren, jedoch auch schwierigeren sein soll, überlege ich, ob ich weitere Gedanken in diesen als meinen ersten Fernwanderweg investieren soll. Ich muss schauen, wie lange ich überhaupt für 250 Kilometer benötige. Bei 20 Kilometern pro Tag bin ich immerhin fast 2 Wochen unterwegs. Meine Rechnung klingt plausibel und einfach: Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 5 km/h schaffe ich ohne Pausen die angedachten 20 Kilometer in 4 Stunden.


Ich benötige nur wenig Schlaf, um fit zu sein. Selbst wenn ich mir morgens übertrieben viel Zeit lasse und erst um 8 Uhr die Unterkunft verlasse, komme ich inklusive einer einstündigen Pause um 13 Uhr an meinem Zielort an. Was soll ich bitte den Rest des Tages tun? Ich kann mich ja schlecht jeden Tag mittags an den Strand setzen und mir bis zum Sonnenuntergang Portwein und Ginja in die Birne schrauben.


Aller Anfang ist schwer


Ich entscheide mich jeden Tag mindestens 7 Stunden zu laufen. Macht 35 Kilometer plus Pausen. Dass es sich beinahe um tägliche Marathonläufe handelt, kommt mir zu diesem Zeitpunkt nicht ansatzweise in den Sinn. Ich sehe lediglich den einfachen Dreisatz meiner Rechnung und treffe eine Entscheidung. Es wird der Camino Portugues. In 7 Tagen!


Der Pilgerpass – Erfolgsnachweis der Fernwanderung


Ich entscheide, dass diese Wanderung in erster Linie eine ganz persönliche Reise werden soll. Dennoch möchte ich pilgern, mit allem, was dazu gehört. Daher besorge ich mir einen Pilgerpass, denn es gibt ‚Regeln‘für die Ausstellung der Pilgerurkunde am Zielort. Täglich müssen in diesem kleinen Heft mindestens zwei Stempel gesammelt werden. Üblicherweise bekommt man diese in den Unterkünften, Cafés, Kirchen und Kapellen. Nur wer nachweisen kann, dass er die Strecke zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt hat, bekommt die berühmte Compostela in Santiago ausgehändigt.


Hin- und Rückflug sind schnell gebucht, nun geht es um die Vorbereitung auf die Zeit zwischen den beiden. Hoch motiviert beginne ich in den kommenden Tagen meine Beine auf die anstehenden Etappen vorzubereiten und eine Grundausrüstung zusammenzusuchen. Aufgrund meiner mangelnden Erfahrung wähle ich zusätzlich zum notwendigen auch komplett überflüssiges Equipment wie einen ultraleichten Sommerschlafsack und ein Mückenzelt, sollte ich wider Erwarten doch mal eine Nacht unter freiem Himmel schlafen müssen. Zu diesem Zeitpunkt ahne ich noch nicht, dass mich jedes unnötige Gramm regelmäßig fluchen lassen wird. Zwei Wochen vor dem geplanten Abflug habe ich die komplette Ausrüstung beisammen und verstaue alles in meinem Rucksack. Ich stelle mich sowohl ohne als auch mit Gepäck auf die Waage, um rauszubekommen, wie viel Gewicht ich täglich (er)tragen muss. Mein Ziel ist maximal 6 Kilogramm plus Wasser – in der Summe also 8. Selbst ohne Getränke zeigt die Waage einen Unterschied von 9 Kilo an.

Wie schaffe ich es ein Drittel meines Rucksacks einzusparen?


...frage ich mich. Ich rede mir ein, dass ich alles benötige, was sich aktuell gut sortiert vor mir ausbreitet. Nach einigem Zögern siegt die Vernunft und ich beginne mich von hoffentlich unnötigem Ballast zu verabschieden. Nach einigem Hin und Her komme ich annähernd auf das geplante Zielgewicht und bin zufrieden. Glücklich über den ersten Schritt, mein Equipment final zusammenzuhaben, trainiere ich in den kommenden Tagen, mit ausreichend Erholungspausen zwischen den einzelnen Übungsläufen, das Wandern mit komplett gefülltem Rucksack. Ich nehme mir 3 Etappen zwischen 20 und 26 Kilometern vor. Mir fällt wieder ein, dass ich solche Distanzen noch nie gelaufen bin, klammere mich jedoch an die Hoffnung, dass es ohne zusätzliche Höhenmeter deutlich einfacher sein wird, die Etappen zu absolvieren. Schließlich laufe ich durch Portugal und Spanien, nicht durch die Alpen. Wie naiv ich doch bin...


Das Meeresrauschen als ständiger Begleiter


Strand in Portugal

Es ist Sonntag, 19 Uhr. Mein Flieger hebt ab Richtung Porto. Da ich 35 km pro Tag laufen möchte, geht mein Rückflug nächsten Montag. 7 Tage Zeit die 250 km vom Flughafen der zweitgrößten Stadt Portugals bis nach Santiago de Compostela in Spanien zu laufen. Ich lande ohne Verspätung und bemerke plötzlich, dass meine Wanderung bereits jetzt beginnt. Üblicherweise fahre ich vom Flughafen, egal wo auf der Welt, an meinen finalen Arrival Point. Ob mit Bus, Bahn, Auto oder Taxi. Ab sofort jedoch bin ich ausschließlich per pedes unterwegs. Da ich keine Ahnung habe, was für Unterkünfte mich in den nächsten Tagen erwarten, habe ich im Vorfeld ein Hotelzimmer in Flughafennähe gebucht und mache mich auf den Weg dorthin. Es ist mittlerweile kurz vor Mitternacht und ich lege mich ins Bett, will ich morgen doch gegen 6 Uhr loslaufen. Aufregung und Vorfreude geben sich die Klinke in die Hand.


Wie schnell sich doch die Pläne ändern


Es ist noch dunkel, als ich um kurz nach 6 Uhr vor dem Hotel stehe, noch einmal tief durchatme und meine Camino-App starte. Es sind angenehme 20 Grad. Die erste Tagesetappe führt mich nach Esposende. 35 km liegen zwischen mir und meiner ersten Pilgerunterkunft. Ich laufe los, ohne auch nur eine Ahnung zu haben, was mich erwartet. Lediglich die einzelnen Orte werden mir auf meinem Display angezeigt.


Nach 3 Stunden, die Sonne ist inzwischen aufgegangen, erreiche ich den ersten Zwischenstopp. Ein kleines, verschlafen wirkendes Örtchen namens Cimo de Vila ist mein Ziel für eine Frühstückspause. Ich setze mich in ein kleines Café und bestelle mir einen Kaffee und etwas, das aussieht wie ein Schoko-Croissant. Mein Portugiesisch und das Englisch der Bäckerin sind exakt gleich schlecht, also hilft das in diesen Fällen typische Reden mit Händen und Füßen bei der Bestellung. Als eines der wichtigsten Wörter habe ich mir ‚Stempel‘ ins Portugiesische übersetzen lassen und frage nach einem ‚Carimbo‘. Die nette Verkäuferin versucht mir deutlich zu machen, dass ich ihr meinen Pilgerpass geben soll und markiert den ersten Punkt meiner noch jungen Reise im Heft. Gestärkt mache ich mich auf den Weg. Ich sehe 2 Pilgerinnen vor ihrer Unterkunft stehen und die Rucksäcke für den heutigen Marsch präparieren. Sie entgegnen mir ein freundliches ‚Buon Camino‘ und ich antworte mit den gleichen Worten. Mein erster Pilgergruß. Ich bin glücklich nun Teil dieser Gemeinschaft zu sein und lächle vor mich hin. Ein leises Rauschen erreicht meine Ohren und ich brauche etwas Zeit, um zu verstehen, dass ich nur noch wenige Meter vom Atlantik entfernt bin. Ich beginne schneller zu laufen, ohne dass ich etwas dagegen tun kann. Mein ganzes Ich will zum Ozean. Nach wenigen Schritten umkurve ich das letzte Haus, das mich noch vom Meer trennt. Nun bin ich also hier. Auf dem Jakobsweg. Mir wird bewusst, dass dieses paradiesische Panorama mein Begleiter für die nächsten Tage sein wird.


Stunden vergehen, ohne dass ich etwas anderes brauche, als das Rauschen der Wellen. Keine Musik, kein Podcast, kein Handy. Lediglich ich und die Natur. Ich merke nicht, dass ich schon 30 km gelaufen bin, so sehr bin ich in Gedanken. Dennoch wird es Zeit, sich langsam auf die Suche nach einer Pilgerunterkunft zu machen. Und das ist schwerer als gedacht.


Vielleicht schlafe ich heute doch am Strand


Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt

Laut meiner App gibt es in der Nähe mehrere Unterkünfte. Ich gehe die Liste durch und wähle die erste Nummer um nachzufragen, ob es noch freie Plätze gibt. Es ist 15 Uhr und ich bin guter Dinge, dass ich einer der ersten sein werde und sicher einen Schlafplatz bekomme. Niemand geht ran. Ich beschließe dennoch hinzulaufen und vor Ort nachzufragen. An der Unterkunft angekommen, sehe ich nichts als abgeklebte Fenster und ein Hinweisschild, auf dem steht, dass aufgrund von Covid-19 dieses Jahr nicht mehr geöffnet wird. Da in Deutschland im Sommer 2020 bisher niemand eine Maske trägt oder sich auch nur im Ansatz einen Lockdown vorstellen kann, sind mir solche Maßnahmen völlig fremd. Ich wähle aus der Liste eine andere Unterkunft und erlebe das Gleiche. Meine gute Stimmung der letzten Stunden ist wie weggeblasen, das Meeresrauschen nehme ich nicht mehr wahr. Letzte Chance – eine Unterkunft habe ich noch gefunden, die für mich fußläufig erreichbar scheint, ansonsten wird bereits die erste Nacht unter freiem Himmel stattfinden. Zu meinem Glück ist die Pension geöffnet und ich bekomme einen Schlafplatz in einem Viererzimmer, das aufgrund der behördlichen Beschränkungen nur zur Hälfte belegt werden darf. Gut für mich, denn das bedeutet eine geringere Gefahr Schnarcher als Bettnachbarn zu haben. Ana wird meine Zimmergenossin. Ana ist um die 60 Jahre alt und pilgert auch. Ana spricht nur portugiesisch. Die Verständigung läuft wie gewohnt mit allen zur Verfügung stehenden Körperteilen. Ich kümmere mich um meine Füße und esse noch eine Kleinigkeit, die ich mir vorhin im regionalen Supermarkt gekauft habe.


Da aufgrund der Pandemie kaum Pilger unterwegs sind, werden die Unterkünfte auch für Touristen geöffnet. Somit kommen überhaupt ein paar Einnahmen rein. Nach ein wenig Small-Talk mit ein paar Jungs einer Reisegruppe aus Kleinasien ziehe ich mich zurück und schlafe ein. Alles nochmal gutgegangen.


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