top of page
  • Instagram
  • YouTube
  • Pinterest

Top of Germany – Tagesmarsch zum Zugspitzgipfel

  • Autorenbild: Daniel
    Daniel
  • 12. Sept. 2022
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 18. Dez. 2022

Knapp 700km habe ich zu Fuß absolviert, seit ich vor zwei Wochen in Berlin losgelaufen bin. Mein großer Traum, einmal im Leben von Berlin zur Zugspitze zu laufen, ist fast erfüllt. Eine letzte Etappe fehlt. Ich stehe in Garmisch-Partenkirchen und weiß, dass ich in wenigen Stunden den Gipfel erreiche, wenn...


Zugspitze Schild

Vorbereitung ist das halbe Leben! Seit meiner Kindheit habe ich diesen Spruch gefühlt hundertmal gehört. Und er hat sich eingebrannt. Als strukturierter Mensch ist es sehr von Vorteil, wenn man einen grundlegenden Plan hat und diesen dann spontan an die Gegebenheiten anpassen kann. Soweit die Theorie.


Nun stehe ich um 9:30 am Fuß der Zugspitze und denke mir: Das ist doch ein Scherz! Es ist das perfekte Wetter, 12 Grad und ein bedeckter Himmel. Mit Schnee ist heute, Mitte September, hoffentlich nicht zu rechnen und die Wetter-App sagt mir, dass erst gegen 16 Uhr Regen erwartet wird. In der Partnachklamm habe ich mir soeben eine knappe Stunde Zeit genommen die Aussicht zu genießen und Fotos zu schießen. Die Ferien sind seit wenigen Tagen bundesweit beendet, daher hält sich die Traffic stark in Grenzen. Ich sehe kaum jemanden vor oder hinter mir. Und dann das!


Die große Überraschung


Glück ist, was passiert, wenn Vorbereitung auf Gelegenheit trifft - Seneca

Um mir Orientierung zu verschaffen, wo genau ich langlaufen muss, suche ich den nächsten Wegweiser, der mir meinen Weg zum Gipfel anzeigt. Was ich dann lese, lässt mich kurz zweifeln, ob ich hier tatsächlich richtig bin: Zugspitze – 11 Stunden!


Weg an der Partnach

Schauen wir auf meine ursprüngliche Planung. Mir ist klar, dass ich die Reise komplettieren möchte, ohne eine Abkürzung mit motorisierten Hilfsmitteln zu nehmen. Daher laufe ich die Reintalstrecke hoch, einer der einfacheren Aufstiege. Allerdings bezahlt man den geringeren Schwierigkeitsgrad mit mehr Strecke. Statt nach etwa zehn Kilometern den Gipfel zu erreichen, läuft man insgesamt rund 23.


Die ersten 15 jedoch soll es ohne großartige Steigung nur leicht bergauf gehen. Ich plane, inklusive Pausen, mit vier Stunden. Für die restlichen acht Kilometer rechne ich aufgrund der dann deutlicheren Steigung mit dem halben Lauftempo und plane ebenfalls vier Stunden ein. Macht also acht Stunden insgesamt. Trainierte Wanderer schaffen den Aufstieg laut Wander-Foren in acht bis neun Stunden. Der Deutsche Alpenverband scheint das anders zu sehen und kommt bei seiner Berechnung eher auf elf – nun ja.


Ich bin doch trainiert


Obwohl ich heute Morgen rechtzeitig aufstehe und voller Vorfreude meinen Weg antrete, trödele ich rum und verliere irgendwo Zeit. Statt wie geplant um acht Uhr den Aufstieg zu beginnen, bin ich erst um neun Uhr am Eingang der Partnachklamm. Mein Plan, in acht Stunden oben zu sein, wird modifiziert werden müssen. Ich will vor dem einsetzenden Regen den Gipfel erreichen. Bleiben sieben Stunden. Ich versuche mir schönzureden, dass die knapp 700km, die ich durch vierzehn Tage Deutschlandlauf in den Knochen habe, Training genug sind und ich in guter körperlicher Verfassung bin. Das packe ich schon. Und nun dieses Schild. Elf Stunden ab hier. Es ist bereits kurz nach zehn.


Hilft ja alles nichts, sage ich mir und laufe in gewohntem Tempo weiter. Das Panorama ist beeindruckend. Immer wieder bleibe ich stehen und beobachte, wie die Sonne beim Versuch die Wolken zu durchbrechen, kurz die Partnach küsst. Das Spiel aus Licht und Schatten erzeugt andauernd neue, wunderschöne Motive, die ich mir als Hobby-Fotograf nicht nehmen lassen kann. Regelmäßig checke ich meinen Fortschritt digital und bin zufrieden. Ich liege gut in der Zeit.

Die erste Pause – Ein Zwischenfazit


Wenn du schnell bist, brauchst du noch 5 Stunden

ree

Nach weniger als drei Stunden reiner Laufzeit komme ich an der Reintalangerhütte an und bin erstaunt, dass bereits 15 Kilometer hinter mir liegen. Meinen Schnitt der letzten Wochen von rund fünf km/h kann also auch die Zugspitze nicht stoppen. Bis hierher. Glücklich darüber, dass ich bereits die fehlende Stunde rausgeholt habe, mache ich eine kurze Pause und bestelle mir einen Kaffee. Da es außer mir keine Gäste zu geben scheint, verwickle ich den Kellner ins Gespräch und versuche in Erfahrung zu bringen, wie lange ich zum Gipfel benötige. Er sagt, wenn ich gut bin, benötige ich nur noch fünf Stunden. Die Zeit habe ich nicht. In vier Stunden soll der Regen einsetzen. Ich schütte meinen Kaffee runter und gehe lieber schnell weiter.


Die kurze Pause hat gutgetan und ich merke, wie neue Energie meinen Körper beflügelt. Durch die Erfahrungen auf meinen Fernwanderungen mit täglichen Strecken von 50 km und mehr, fühlt sich die Etappe bisher wie ein lockeres Aufwärmen an. Mit Wind in den Haaren und einem Pfeifen auf den Lippen wandere ich weiter und merke, wie allmählich Höhenmeter hinzukommen. War der Weg bisher ein perfekter Untergrund für Wanderer und das Panorama mit der glasklaren Partnach zu meiner Linken Idylle pur, wird es nun deutlich felsiger und vor allem steiler. Anfangs konnte ich noch gut drauf achten, nicht zu sehr ins Schwitzen zu kommen. Mittlerweile tropft mir das Wasser nur noch so vom Gesicht. Da ich inzwischen schon über 1.000 Höhenmeter hinter mir habe und die Temperatur in den einstelligen Bereich zu sinken beginnt, kann ich jedoch nicht allzu viel ausziehen.


Von Null auf Fünfzehn Prozent


Zugspitze Bergsteigen

Der Weg besteht nun überwiegend aus Schotter. Bei steileren Passagen, besonders unmittelbar vor der zweiten Hütte, muss ich enorm aufpassen, nicht ins Rutschen zu geraten. Für die vier Kilometer von der Reintalangerhütte bis hierher brauche ich 90 Minuten und sehe an der gesunkenen Durchschnittsgeschwindigkeit, dass sich das Terrain mehr als nur leicht verändert hat. 600 Höhenmeter habe ich auf einer Strecke von vier Kilometern überwunden. Das macht eine durchschnittliche Steigung von 15%.


Die letzten Meter hoch zur Knorrhütte schleppe ich mich nur noch. Ich brauche eine Pause und muss Energie tanken. Powerriegel und Wasser geben meinem Körper zwar spürbar neue Kraft, die Anstrengung der letzten zwei Wochen machen sich jedoch so kurz dem Ziel extrem bemerkbar! Ich brauche Motivation für den Kopf und checke das noch verbleibende Höhenprofil in meiner App. Ich bekomme gute Laune, denn das Schlimmste scheint überstanden. Es bleibt steil, flacht aber etwas ab. Leider scheint das die nächsten Meter noch nicht der Fall zu sein. Alle paar Meter bleibe ich stehen und muss kräftig durchatmen. Augen zu und durch.


Ruhig bleiben für Anfänger


Seit einiger Zeit sehe ich andere Wanderer und passiere sie. Alle schwitzen, alle schnaufen. Ich bin im Tunnel. Die beiden von mir als Tempoorientierung auserkorenen Wanderer, die seit gut drei Stunden in Sichtweite vor mir laufen, sind mittlerweile nur noch schemenhaft zwischen Zugspitzplatt und Gipfel zu erkennen und haben inzwischen den Klettersteig für die finalen 900 Meter rauf zum Top of Germany erreicht. Da ich meine komplette Konzentration benötige, um letzte Kräfte zu mobilisieren und nicht durch Unachtsamkeit ins Straucheln zu geraten, bemerke ich erst mit einigen Minuten Verspätung, dass es langsam anfängt zu regnen. So sehr ich mir wünsche endlich oben angekommen zu sein – daran darf ich aktuell nicht denken. Beginnt es erst mal zu gewittern, bin ich verloren. Hier oben gibt es kaum Möglichkeiten sich vor einschlagenden Blitzen zu schützen.


Hier findet dich niemand


Du bist nicht so weit gelaufen, um dich für die letzten Meter in eine Seilbahn zu setzen

Zugspitze Gipfel

Ich gehe in Gedanken die Verhaltensregeln durch, die bei Bergsteigern den Unterschied zwischen Gipfelkreuz und Kreuz der Erinnerung am Wegesrand ausmachen und schaue mich um, wo ich Unterschlupf finden kann, falls das Wetter in den nächsten Minuten plötzlich umschlägt. Ein letztes Mal fällt mein Blick auf die Regenradar-App meines Smartphones und ich bin wiederholt überrascht, dass ich in 2.600 Metern Höhe Empfang habe. In etwa einer Stunde soll es hier ungemütlich werden und ich stelle mir die entscheidende Frage: Fährst du mit der Gondel zum Gipfel, oder vertraust du nach über zwei Wochen mit täglichen Marathon-Strecken deinem Körper und gehst den letzten Kilometer deiner Reise voller Zuversicht an. Ich schaue nach oben und kann bereits die Endstation der Gletscherbahn erkennen. Eine Entscheidung ist schnell getroffen. Du bist nicht so weit durch Deutschland gelaufen, um dich für die letzten Meter in eine Seilbahn zu setzen, sage ich mir. Auch wenn ich nicht wirklich weiß, was mich noch erwartet, bin ich fest entschlossen den unerbittlichen Schotterhaufen vor mir zu bezwingen. Nur bis zum Klettersteig, dann ist es fast geschafft. Du hast noch 73 Minuten.


Dachte ich vor einigen Stunden, dass es steil ist, revidiere ich meine Meinung von vorhin. Trittsicherheit und Schwindelfreiheit sind nun meine beiden wichtigsten Prämissen. Aufgrund der steilen Passage ist zwar die nächste Kurve, das nächste ausgemachte Zwischenziel zum Greifen nah, dennoch dauert es gefühlt ewig, bis ich es erreiche. Dann endlich halte ich kalten Stahl in den Händen. Der Klettersteig, der mich die letzten Meter bergauf führen wird. Der leichte Nieselregen wird stärker und verwandelt den sehr losen Mix aus Geröll und Schotter vor mir in eine seifige Rutschpartie. Ich lächle trotzdem. Noch ein paar Kurven, dann bin ich endlich oben. Konzentrier dich!


Wie Sie sehen, sehen Sie nichts


Ausblick von der Zugspitze

Ich ziehe mir die Kapuze tiefer ins Gesicht, um nicht noch nasser zu werden. Die letzten Stufen rauf zum Plateau sind geschafft. Um 15:52 Uhr stehe ich auf dem Dach Deutschlands und sehe – nichts. Der Nebel hat den gesamten Gipfel umhüllt und gönnt mir keinen Blick ins Tal. Ich strahle trotzdem vor Freude und genieße den Regen. Beim Blick auf die App, die mir sagt, dass ich 5:37 Stunden reine Laufzeit gebraucht habe, bin ich froh, dass ich beim ersten Wegweiser nicht angefangen habe zu zweifeln und umgedreht bin.


Ein Gefühlsmix aus Stolz, Erschöpfung, Freude, Glück und innerer Zufriedenheit macht sich breit und will raus. Ich gebe nach und alle Emotionen ergießen sich über meine Wangen. Ich bleibe noch ein wenig hier oben – allein. Die Gondel ins Tal nehme ich in einer Stunde...



Kommentare


bottom of page